© Sandra Schürmann

Was man beim Reiten fürs Klettern lernen kann

oder Der Niedergang des Hauses Camelot

05.11.2023

Vincent hat sogar Kletterschuhe gebraucht - und Nerven.

von Sandra Schürmann

Soviel vorneweg: Vincent hat sogar Kletterschuhe gebraucht - und Nerven. Am letzten Tag unserer Gemeinschaftsfahrt, dem Freitag, bin ich geklettert, weil man auch beim Reiten wieder aufsteigen soll, wenn man runterfällt. Den Tag davor, Donnerstag sind wir erst acht Seillängen geklettert, 5 bis 6+ und eine Stelle 7-. Die Süd-West-Kante am Hauptgipfel der Wolfebnerspitzen war ebenso toll, wie das Wetter und eine sehr gute Erfahrung. 

Dann haben wir uns noch eine Route vorgenommen mit zwei Seillängen in 6+ und einer in 4. Laut Panico-Führer lohnend in festem Fels, selbst abzusichern und ein paar Haken - ja, denkste. Der Zustieg erfolgt durch steilen und sehr lose gelagerten Schutt. Die Brocken sind alle unterschiedlich groß und haben sich nicht gesetzt. Vincent geht einmal beinahe ab, als der Schutt ins Rutschen kommt, der erste Schreck sitz! Nur fünf Minuten später erreicht Vincent eine große Steinplatte, die auch ich als lagebeständig angepeilt habe. Aber statt kurz verschnaufen zu können, surft er mit der Platte in Richtung Tal. Zum Glück kann er sich fangen und abspringen. Der Brocken zerschellt im Geröllfeld unterhalb. Wir wollen nun erst recht nach oben, es scheint einfacher, als hier wieder abzusteigen. Aber auch der weitere Zustieg in felsigen Gelände hat es in sich: 30 Höhenmeter im 3. Grad. Free solo. Keine Haken. Keine Sicherungsmöglichkeiten. Am Einstieg finden wir einen Haken und versichern uns, dass wir auch richtig angekommen sind. Ja, alles passt. Wir machen uns am unbequemen Stand fertig. Zum ersten Mal passiert es mir: Ich lasse meine Kletterschuhe fallen. Sie hüpfen im Beutel den Hang hinab, kommen mehrfach zum Stehen um dann doch nochmal Fahrt aufzunehmen. Es hilft nichts, ich muss die Hälfte wieder runter, dieses Mal aber mit Seil - zum Glück! 

Nun geht's aber los! Vincent schafft den Vorstieg der ersten Seillänge, ist aber nicht sehr angetan. Ich steige nach und stürze im Überhang seitlich, aber immerhin nur knapp über dem Haken. Zum Glück geht das gut, obwohl ich reflexartig die Exe greifen will und über dieser das Seil erwische. Nur der kleine Finger wird geklemmt und ein Knie ist etwas dick. Vincent bekommt einen riesen Schreck. Ich auch, war ja schließlich auch mein erster Sturz in einer Mehrseillänge, wenn auch nur im Nachstieg. Vincent lässt mich an dieser Stelle ein Stück ab, aber ich schaffe den Einstieg von dort nicht. Wo ich nun hänge, ist das Klettern noch schwerer als im Routenverlauf. Ich versuche mich an der Exe hochzuziehen, aber das klappt nicht. Dyneema ist recht dünn und die Hand rutscht einfach runter, wenn ich am Überhang antrete. Dann prusike ich hoch, auch das mit Mühe. Es ist in so einer Situation, freihängend und quasi alleine mit sich und dem Problem doch ganz schön schwierig. Langsam gewinne ich an Höhe. Es klappt, das Erlernte lässt sich anwenden! Doch so einfach lässt mich die Route nicht wieder hinein: Immer wenn ich die schräg verlaufende Kante erreiche und die Füße wieder Felskontakt haben, lockert sich das Seil und rutscht seitlich weg, entlang der schräg verlaufenden Kante! Nun hänge ich wieder einen Meter unterhalb der Kante, nur weiter links. Das Ganze drei mal. Vor meinen Augen reißt die Kante kleine Fädchen aus dem Mantel des Seils. Es ist gruselig. Mit viel Beherrschung konzentriere ich mich auf den Weg nach oben, da ablassen auch nicht sinnvoll erscheint. Die nächste Zwischensicherung fixiert das Seil, endlich scheint die Kante mich wieder aufnehmen zu müssen. Ich könnte es nun schaffen. Da fliegt mir der Keil entgegen, der diese Sicherung dargestellt hat. Manchmal hat man Vorteile, wenn man Brillenträger(in) ist! Trotz des fehlenden Keils komme ich hier nun doch über die Kante. Die ersten Gedanken, die Bergrettung zu benötigen, flachen wieder ab. Ich klettere zu Vincent. 6+? Die spinnen....! Vielleicht sind es auch nur meine Nerven, dass ich hier an meiner Grenze klettere? Ja, die Nerven bekommen noch ein paar Proben, ab wann sie aufgeben würden: Ein Griff, den ich gerade voll belaste, fliegt raus. Er hat die Größe eines großen Tellers. Wie durch ein Wunder kann ich mich halten. Alles Bruch dort... Und so geht es weiter. Zwei Tritte brechen zeitgleich aus, beide richtig groß. Ich habe noch Griffe und kann die Füße auf den Block darüber retten. Allerdings - der nächste, der diesen Block bewegt, wird ihn auch Richtung Tal befördern, da seine Basis nun weg ist. Mit „nur“ einem weiteren Versteiger erreiche ich Vincent und den Stand. Mehr als etwas gestresst. Nun kommt die Frage auf: Nach oben oder nach unten? Beides sch.... Nach oben ist auch nur Schrott. Wo zum Henker soll man da Cams legen? Alles Bruch! Und der kleine Spalt, den man für mobile Sicherungen nutzen könnte, liegt nicht im soliden Fels und ist völlig ungeeignet. Und dazu heißt die Route: Sir Camelot: Sir CAM-elot!!! Also entscheiden wir gemeinsam, dass wir hier abbrechen. Wir lassen den gesamten Stand oben und seilen ab. Auch nicht einfach, aber wir schaffen es mit den 60m Halbseilen bis Mitte der ersten Strecke im 3. Grad. Die Seile kann ich mit aller Kraft dann doch abziehen, nachdem sie zunächst noch an dieser Route hingen. Wir schaffen es irgendwie zurück auf den Pfad, meist am Wandfuß entlang bouldernd. 

Der Weg zur Hütte ist so schön, wie nie zuvor. Wir haben auch noch das Abendessen mit nur 30 min Verspätung erreicht. Harald, unser Wirt, will Kontakt mit einem der Erbauer der Route aufnehmen, er kennt ihn. Und Vincent schreibt an den Panico-Verlag. Etwas muss ich noch ergänzen: Es war nie jemand darunter, als die Brocken flogen. Und ich bin sehr, sehr dankbar, dass Vincent ruhig bleibt und souverän. Das war absolut hilfreich. Auch die Seile, die uns übrigens unser erster Vorsitzender und Freund Ralf geliehen hat, zeigten sich nach der sehr ausführlichen, abendlichen Prüfung doch noch für gut. Zum Glück! 

Am nächsten und letzten Tag unserer Fahrt habe ich mich in den leichten 4 Seillängen der Baderführe ganz schön schwer getan. Tja, war ein großes Pferd zum wieder aufsteigen!