Ein Artikel von Hans Wey
5. April, 2:30: der Wecker klingelt zu ungewohnt früher Stunde und kurz darauf geht es los zum Flughafen Düsseldorf, von wo aus wir (Maxi, Andrea, Jens und Hans), alle vier Mitglieder der Alpinwandergruppe, nach Mallorca fliegen, um zu unserer zehntägigen Mehrtageswanderung über die Trockensteinroute, den GR 221 aufzubrechen. Nach Auffüllen der Rucksackverpflegung mit mallorquinischem Brot, Käse und Wurst in unserem Startort Sant Elm und einen guten Frühstück bei einem etwas unentspannten Wirt geht es endlich los. Wir steigen über Felsen durch einen lichten Wald auf, die Insel sa Dragonera immer im Blick und erreichen bald das ehemalige Kloster la Trapa. Dort sehen wir die ersten mächtigen und wunderbar sanierten Trockensteinmauern, die uns ab jetzt begleiten werden. Wir folgen eine ganze Zeit dem Weg oberhalb der Steilküste, immer mit phantastischem Meerblick. Ab dem steil ins Meer abfallenden 440 m hohen Mirador d’en Josep Sastre verlassen wir aber doch die Küste und erreichen nach einigen weiteren Stunden unser heutiges Ziel, das Refugi de ses Fontanelles, eine privat geführte Wanderherberge. Wir hatten im Netz sehr unterschiedliche Kritiken zur Verpflegung gelesen, dementsprechend waren unsere Erwartungen nicht sehr hoch. Umso erfreuter waren wir von dem leckeren Dreigänge-Menü mit gutem Wein und einem reichhaltigen Frühstück. Was lernen wir daraus: eigene Erfahrungen sind besser als die ständige Wiederholung anonymer Internet-Kritiken. Auf dem sehr großen und verkarsteten Gelände der Hütte liegen übrigens viele Höhlen, von denen der Besitzer der Hütte die meisten selbst erforscht hat.
Am nächsten Morgen starten wir zur nächsten, recht anspruchsvollen Etappe, die uns nach Estellencs führen wird. Das Wetter ist für Anfang April recht heiß und die Strecke führt durch schöne, schroffe Karstlandschaft und erfordert Konzentration beim Gehen, der Orientierung und viel Trinkwasser. Hier gilt wieder mal: weniger ist mehr, jedes Kilo zu viel im Rucksack rächt sich nun. Später führt der Weg durch schattigen Kiefern- und Eichenwald, einen willkommene Erholung. Als wir am späten Nachmittag doch etwas erschöpft in Estellencs ankommen, stellen wir fest, dass unser Hotel einen Ort weiter, im 7 km entfernten Banyalbufar, liegt. Kein Problem, wir verkürzen uns die Wartezeit auf den in kurzer Taktzeit verkehrenden Bus bei einem wohlverdienten Kaltgetränk. Den Abend beschließen wir beim Abendessen auf der Dachterrasse des schönen Hotels mit Meerblick. Wir müssen immer auf der Hut sein, dass der starke, warme Wind die Servietten, Gläser und Flaschen nicht wegweht.
Zum Start des nächsten Abschnitts fahren wir am Morgen wieder nach Estellencs zurück, schauen uns die tollen Stahlskulpturen des Künstlers Mariano Navares an und beginnen wieder dort, wo wir am Tag zuvor aufgehört haben. Wie häufig bei Streckenwanderungen, treffen wir auf unserem Weg mehrfach dieselben Wanderer, mit denen wir Erfahrungen austauschen und nette Gespräche führen. Vorbei an alten Landgütern, terrassierten Olivenhainen, Zitronen- und Orangenbäumen und Steineichenwäldern führt der Weg wieder nach Banyalbufar. Nach einer kurzen Mittagspause und dem Auffüllen unserer Wasservorräte steigen wir wieder auf und wandern über den alten, aufwendig restaurierten Postweg in Richtung unseres heutigen Zieles, dem einige Kilometer im Inland gelegenen Städtchen Esporles, wo Andrea, die die gesamte Reise perfekt organisiert hat, uns in einem gemütlichen, historischen Hostal einquartiert hat. Nachdem wir bei einem Spaziergang durch den Ort unsere Vorräte ergänzt haben, lassen wir den Tag bei Paella und Rotwein in einem netten Restaurant unter den Platanen der Flaniermeile, ausklingen.
Am nächsten Morgen führt uns unser Weg entlang eines kleinen Baches hinaus aus Esporles in Richtung Valldemossa, unserem nächsten Ziel. Weil die Zitronen- und Orangenbäume in den Gärten am Wegesrand so schön sind, verpassen wir die richtige Abzweigung, aber ein netter Mallorquiner bringt uns zurück auf den richtigen Pfad. Bald erreichen wir einen Aussichtspunkt im Steineichenwald mit Felsplatten, die zum Picknicken einladen und treffen Claudia und ihre Mutter, zwei sehr nette Schweizerinnen, die wir seit Estellencs bereits mehrfach getroffen haben, wieder. Zusammen gehen wir ein paar Stunden, finden eine Krisalldruse und treffen an der alten Zisterne einer früheren Köhlerei auf eine kleine Eselherde mit einem liebestollen Hengst. Und wie so oft im Leben: Die Einen finden das Schauspiel lustig, die Anderen eher nicht… Bald eröffnet sich ein wunderbarer Blick auf unser Ziel, den Touristenmagneten Valldemossa mit seinen alten Gebäuden, Kirchen und Parks, den wir bald erreichen. Nachdem wir uns und unsere Wäsche in unserem heutigen Domizil, einer Ferienwohnung „auf Vordermann gebracht“ haben, sind die meisten Tagestouristen wieder abgereist, wir können den sehr schönen Ort in Ruhe genießen und lecker zu Abend essen.
War das Wetter bisher trocken und heiß, so weht am nächsten Morgen zuerst einmal ein anderer Wind: Es ist bedeckt, kalt und windig und so müssen wir spätestens auf dem Bergrücken hinter Valldemossa zum ersten (und einzigen) Mal Mütze, Fleece und Regenjacke anziehen. Doch als wir kurz nach dem Steineichenwald auf der kahlen Höhe auf den „Reitweg des Erzherzogs“ stoßen, beginnt der Himmel wieder aufzureißen und so ergeben sich bei der „Besteigung“ des nur wenige Meter über dem Weg gelegenen Caragoli (945 m) spektakuläre Ausblicke auf das Meer, das Tramuntana-Gebirge und den Puig Major, den höchsten Berg Mallorcas mit seinen 1436 m Höhe. Auf dem weiteren Weg durch den Wald erleben wir eine Schrecksekunde: Hans kann, durch den Schirm seiner Kappe verdeckt, einen kräftigen Ast nicht sehen, stößt mit der Stirn dagegen und fällt nach hinten auf seinen Rucksack. Zum Glück bleibt der Zusammenstoß folgenlos und fortan wird der Schirm der Kappe zum Rücken hin getragen. Auf dem längeren Abstieg durch den Wald, passieren wir am Wegrand häufig kreisrunde Steinplattformen. Dabei handelt es sich um alte Köhlerplätze, auf denen in der Vergangenheit die Steineichen zu Holzkohle verarbeitet wurden. Nachdem wir einige hundert Höhenmeter zu unserem heutigen Etappenziel, dem bekannten Küstenort Deià abgestiegen sind, passieren wir ein Hotel mit einem wunderschönen Swimming Pool. Eine Runde Schwimmen im Pool, das käme jetzt richtig gut. Zu unserer Freude übernachten wir heute wirklich in diesem ehrwürdigen Hotel mit großem Garten und das Schwimmen erfrischt die müden Knochen.
Auch das opulente Frühstücksbüffet am nächsten Morgen trägt zum Stärkung der Kondition und Motivation bei. Auf dem Weg durch den schönen Ort, den wir uns schon bei unserem Abendspaziergang angesehen haben, kommen wir an dem Refugi de Can Boi vorbei. Die Wanderherberge in einem restaurierten Landhaus beherbergt eine kleine Ausstellung mit einer Ölpresse und wäre –wenn Übernachtungsplätze verfügbar gewesen wären - eine rustikale Alternative zu unserem Hotel gewesen. Der nun etwas vom GR 211 abweichende Weg führt uns hinter dem Ort hinunter ans Meer, an die malerische Cala de Deià und auf einem Pfad mehr oder weniger direkt oberhalb der Klippen bis nach Llucalcari. Von dort geht es dann steil wieder hinauf auf den auf ca. 300 hm verlaufenden GR 221. Nach einer weiteren halben Stunde erreichen wir das Landhaus Finca Son Mico, wo wir im Garten bei Kaffee, Kuchen und toller Aussicht neue Kräfte für den restlichen, sich etwas in die Länge ziehenden, Weg zum Refugi de Muleta sammeln. Die Hütte liegt mit Meerblick neben einem Leuchtturm hoch über dem Küstenort Port de Soller. Zum Abendessen gehen wir von unserem Quartier eine halbe Stunde hinunter in den Ort. Kaum sitzen wir in dem Standrestaurant, da treffen wir durch Zufall eine gemeinsame Bekannte aus Duisburg. Es wird ein lustiger, wenn auch kurzer Abend, denn das Refugi schließt um 22:30 Uhr und wir müssen ja noch
die 100 hm Küstenstraße hoch zu unserem 30-Betten-Schlafsaal, ein deutlicher Kontrast zum Luxus am Vorabend…
Nach unerwartet ruhiger Nacht führt unser heutiger Weg, mit nur 7,5 km der kürzeste der gesamten Tour, von Port de Soller zu dem im Inland gelegenen Soller, einem sehr schönen, in einem fruchtbaren Talkessel gelegenen Städtchen, inmitten von Orangenplantagen. Durch die frühe Ankunft in unserem Apartment haben wir Zeit, den kulturell interessanten Ort zu erkunden: die altehrwürdige Straßenbahn mit ihren holzverkleideten Waggons, die prachtvollen Herrenhäuser im katalanischen Jugendstil und die im Bahnhofgebäude ausgestellten Kunstwerke von Picasso und Miró. Nebenbei können wir ein paar Vorräte einkaufen, denn auf den folgenden beiden Teilstücken wird es keine Einkaufsmöglichkeiten geben.
Am nächsten Morgen geht es früh los, denn uns erwartet die „Königsetappe“ von Soller zum Refugi de Tossals Verds mit mehr als 1200 hm und 8 Stunden Gehzeit. Durch die noch verschlafenen Straßen von Soller gehen wir, die morgendliche Kühle nutzend, durch Orangen- und Zitronenplantagen in Richtung der Schlucht Barranc de Biniaraix. Auf meist gepflasterten Pfaden führt der Weg unter recht bröckeligen Steilhängen, in denen obendrein noch Ziegen herumkraxeln und Steine lostreten, auf den Coll de l`Ofre auf 877 m, den wir schon gegen 11 Uhr erreichen. Nach einer ausgiebigen Pause geht es auf einem breiten aber heißen, schattenlosen Weg vorbei am bereits jetzt, im April, nur halb gefüllten Cuber-Stausee. Am Ende des Sees gilt es eine Entscheidung zu treffen: bleiben wir auf dem einfacheren, aber längeren Weg um den Puig de Tossals Verds herum oder trauen wir uns die kürzere, aber schwierigere Variante über Pas Llis mit einer kurzen Kletterstelle zu? Wir nehmen die sportliche Herausforderung an und alle meistern die mit Ketten versicherte Stufe ohne Probleme. Bis wir dann das wunderbar mitten in der Tramuntana gelegene Refugi erreichen, dauert es noch eine ganze Weile. Dementsprechend ist der Appetit groß, das einfache Essen schmackhaft und der Wein süffig. Auch die Nachtruhe scheint gesichert: wir schlafen in einem eigenen Schlafraum im Nebengebäude, wenn da die Moskitos nicht wären…
Auch unser heutiger Weg ist nicht ohne: wieder erwarten uns mehr als 900 hm auf unserem Weg vom Refugi de Tossals Verds über den Coll de Prots, dem mit 1207 m höchsten Pass von Mallorca zum Santuari Lluc. Bei bestem Wanderwetter erreichen wir den Pass und im Windschatten einer Trockenmauer picknicken wir ausgiebig mit wunderbarem Blick über das Cap de Formentor. Von hier aus geht es meist bergab und nach der provisorischen Reparatur einer abgeklappten Wanderschuhsohle mit Heftpflaster, Kabelbinder und Gurt passieren wir einige große, mit Steinen ausgemauerte Gruben zum Sammeln von Schnee aus der Zeit vor Erfindung der Kältemaschinen. Die meisten sind nicht mehr intakt, manche wurden jedoch in letzter Zeit restauriert. Wir erreichen den bedeutenden mallorquinischen Wallfahrtsort und nachdem wir uns etwas umgesehen haben, gehen wir weiter zu unserer Unterkunft, dem Refugi de Son Amer. Die schöne Schutzhütte liegt auf einem Berg, eine halbe Stunde entfernt vom dem für heute Abend ausgewählten Restaurant in der Nähe der Kirche. Also „machen“ wir am Abend nochmal etliche Höhenmeter zum Restaurant und mit Stirnlampe wieder zurück.
Am Morgen starten wir zur letzten Etappe von Lluc zu unserem Zielort Pollença. Nachdem wir den 686 m hohen Coll Pelat überquert haben, führt der Weg noch einmal auf und ab durch den Steineichenwald zum ehemaligen Landgut Possesio Binifaldó. Das heutige Bildungszentrum wurde 1897 aus kirchlichem Besitz verstaatlicht, wofür der verantwortliche Finanzminister exkommuniziert wurde. Nach einer Pause an der Quelle Font de Muntanya folgen wir einem Flüsschen durch die
heiße Ebene mit schönen Gärten und erreichen am Ortsrand von Pollença das Refugi Pont Roma. In dem Ort mit schönen alten Häusern gibt es viele einladende Restaurants, sodass uns die Wahl schwer fällt.
Am nächsten Mittag steigen wir nach ausgiebigem Frühstück und dem Einkaufen einiger Mitbringsel in den Bus nach Palma de Mallorca, um mit vielen schönen Erinnerungen im Gepäck den Rückflug ins kalte, regnerische Düsseldorf anzutreten.
Für Nachahmer dieser wunderbaren Streckenwanderung hier noch einige Tipps: Trotz der, im Vergleich zu den Alpen, geringen Meereshöhen, auf denen gewandert wird, sollte man den Weg nicht unterschätzen: Auf die Wanderer warten ca. 6600 hm auf 130 km Strecke. Einige lange Strecken mit 8 Std. Gehzeit, Hitze und manchmal wenig Schatten sowie steinige Wege, teils mit hohen Stufen sind zu bewältigen. Es sollte daher selbstverständlich sein, unbedingt genügend Wasser mitzunehmen, insbesondere, da nicht von Quellen zum Wiederauffüllen der Flaschen am Weg auszugehen ist. Die Orientierung kann auf manchen Teilstücken etwas schwierig sein, besonders bei schlechtem Wetter. Das auf den Refugis angebotene Abendessen ist einfach und günstig, aber ausreichend. Das Frühstück für unsere Essgewohnheiten wohl etwas „Marmelade-lastig“. Wer es herzhafter mag, kann aus dem Rucksack ergänzen. Der öffentliche Nahverkehr auf Mallorca ist (auch in der Tramuntana) hervorragend ausgebaut, so können Hin- und Rücktransport nach Palma durchgeführt und -bei Bedarf- anstrengende Teilstücke abgekürzt werden.
Nachahmern wünschen wir so viel Spaß auf dem GR 221, wie wir ihn hatten!
Hans
Literatur: Rother Wanderführer Mallorca GR 221, Rolf Goetz