Die Vikos Schlucht geschrieben und erlebt von Vassilios Prodromou
Als eine der tiefsten Schluchten der Welt, mit einer maximalen Tiefe von rund 1200 Metern und einer Länge von etwa 12 Kilometern, könnte man leicht behaupten, dass die griechischen Götter in den Wolken am Olymp residierten, aber am Vikos waren sie sicherlich wandern und picknicken. Die Vikos-Schlucht wurde vom Fluss Voidomatis geformt, der sich im Laufe der Jahrmillionen durch das Kalkgestein gegraben und eine atemberaubende Landschaft mit steilen Klippen, schroffen Gipfeln und kristallklaren Bächen geschaffen hat.
Als das Wunder im Nordwesten Griechenlands ist sie als die tiefste Schlucht der Welt (im Verhältnis zu ihrer Breite) in das Guinness-Buch der Rekorde eingegangen.
Es gibt zwei Möglichkeiten, die Schlucht zu durchqueren, entweder vom Dorf Vikos oder vom Dorf Monodendri aus. Beide Touren sind mit 6,5 Stunden Gehzeit angegeben. Es hat jedoch Vorteile, die Wanderung von Monodendri aus zu beginnen. Erstens liegt Monodendri höher als Vikos, was bedeutet, das die Wanderung vom Dorf bis zum Grund der Schlucht bergab führt und somit weniger anstrengend ist als der Aufstieg von Vikos. Zweitens bietet Monodendri mehr Annehmlichkeiten und Dienstleistungen für Besucher, darunter Restaurants, Cafés und Unterkünfte, und ist damit ein besserer Ausgangspunkt für Wanderer, die in der Gegend übernachten wollen.
Um die Schlucht mit dem Wagen zu erreichen, nimmt man die Straße Ioannina-Konitsa und biegt hinter Aspaka nach rechts in Richtung Monodendri ab. Das Dorf liegt auf einer steilen Anhöhe über dem Eingang der Schlucht. Es ist eines der traditionsreichsten Dörfer Griechenlands und noch genauso wie vor vielen Jahren. In der Mitte des Dorfes steht eine Platane. Zwei kleine Restaurants bieten Essen oder Trinken an sowie den berühmten Zagori-Käsekuchen (Tyropittes). Vom Restaurant aus weisen Schilder den Weg zum Kloster Agia Paraskevi in 600 m Entfernung. Der Wanderweg ist gut markiert.
Es war Anfang Oktober, mein Nachbar Angelo und ich sprachen des Öfteren darüber, die Wanderung durch die Schlucht zu unternehmen.
Nur eine Stunde von Vikos entfernt, in der Nähe der Stadt Ioannina, wurde ich geboren. Meine Kindertage wurden von Geschichten über die Vikos Schlucht und den Zagorohoria begleitet - den ältesten Dörfern Griechenlands, die für ihre traditionelle Steinarchitektur, ihre Mythen, Bräuche und kulturellen Ausdrucksformen bekannt sind. Ich besuchte die Dörfer und Aussichtspunkte oft, aber dieses Mal war es an der Zeit, meine Wanderung zu beginnen.
Die letzten Wochen waren begleitet durch ein wechselhaftes Wetter. Nach einigen Tagen Regen, sahen wir früh morgens, dass der Himmel etwas aufklarte und so ergriffen wir die Möglichkeit, packten unsere Rucksäcke und fuhren los.
Angelo und ich wussten, dass wir eine lange Wanderstrecke vor uns haben, also bereiteten wir uns entsprechend vor. Es handelt sich um eine 12 km lange One-way-Wanderung. Wir entwickelten einen Plan, der vorsah, jeden Tag etwa 6 km zu laufen, und wenn nötig, uns dann auf 12 km zu steigern sowie kurze abweichende Wanderungen zu unternehmen, um die Schönheiten der Schlucht zu erforschen.
Mit Vorfreude auf das Erlebnis erreichten wir das malerische Dorf Monodendri und parkten unser Auto auf dem großen Parkplatz unterhalb des Eingangs zur Vikos-Schlucht. Als wir ausstiegen, wurden wir von einer belebten Szene empfangen: kleine Geschäfte säumten die Straße zur Linken, eine hübsche Kapelle erstrahlte auf der rechten Seite und ein Schild wies den Weg in die Schlucht. Bevor man mit der Wanderung beginnt, kann man sich eines Aussichtspunktes erfreuen. Dieser befindet sich in der Nähe des Klosters Agia Paraskevi, welches sich 600 m vom Dorfplatz befindet. Ein kleiner gepflasterter Weg mit guter Markierung führt zum Eingang des Klosters. Neben dem Kloster gibt es eine Terrasse, von der man prächtige Felswände betrachten kann und bereits ein sehr gutes Gefühl erhält von dem, was einen erwartet.
Wir folgten der Beschilderung und wanderten vorbei an der eindrucksvollen Kirche des Dorfes, die majestätisch auf einem Hügel thront. Nach nur fünf Minuten erreichten wir das Amphitheater und wurden von einer weiteren beeindruckenden Aussicht auf die Schlucht belohnt. Als wir uns auf den Abstieg vorbereiteten, bemerkten wir, dass der Weg steil und herausfordernd sein würde. Aber keine Sorge, denn der Weg war gut beschildert und markiert, so dass wir sicher und ohne Hindernisse wandern konnten. Die Route ist mit roten Punkten markiert und ist zusätzlich mit kleinen weiß auf Rot geschabten Metallschildern mit der Anschrift ‚O3‘ gekennzeichnet.
Gleich nach dem Betreten des Waldes, hatten wir das Gefühl, als wären wir in eine andere Welt eingetaucht. Die bunte Flora und Fauna und die Stille der Natur um uns herum ließen uns den Alltag vergessen. Wir waren in unserem Element und genossen jede Sekunde der Wanderung durch die faszinierende Landschaft.
Ich musste zugeben, dass es in den Tagen zuvor sehr stürmisch war und die Natur ihren Tribut forderte. Der Weg, den wir uns vorgenommen hatten, war zu einer echten Herausforderung geworden. Der Boden war so weich und rutschig, dass ich mehrmals fast das Gleichgewicht verloren hätte - und als ob das nicht schon genug wäre, war der Weg mit einem Meer aus buntem Herbstlaub bedeckt, das die Steine darunter verdeckte. Es war wie ein Tanz auf dem Drahtseil, jeder Schritt musste vorsichtig gewählt werden, um nicht abzurutschen. Der Weg schlängelte sich steil in Serpentinen den Abhang hinunter und wir waren wachsam wie nie zuvor. Aber das Abenteuer hatte gerade erst begonnen.
Der ca. dreistündige Abstieg bescherte uns atemberaubende Aussichten und Tiefblicke. Im Herbst liegt der Fluss trocken und ist in voller Pracht nur am Dorf Vikos zu begutachten, dort wo er auch entspringt. Am Flussbett legten wir eine wohlverdiente Pause an einem malerischen Ort, wo sich die Quellen des Voidomatis-Flusses befinden, ein. Hier konnten wir neue Energie tanken und uns auf die nächsten Etappen vorbereiten.
Angelos meinte, dass einer Legende nach die Vikos-Schlucht von einem Riesen geschaffen wurde, welcher einen Fluss in den Bergen umleitete, um sein Dorf vor einer drohenden Überschwemmung zu schützen. Der Fluss grub sich daraufhin tief in das Gestein ein und formte die Schlucht.
Das Wetter war auf unserer Seite und wir fühlten uns frei wie die Vögel, die über uns kreisten. Wir waren gewappnet für alles, was die Wildnis für uns bereithielt, einschließlich der Herausforderungen der zweiten Hälfte des Wandererlebnisses. Wir wussten jedoch, dass wir diese gemeinsam als Team und Abenteurer meistern würden.
Wir kämpften uns in Zickzack-Kursen bergauf, manchmal auch neben dem Flussbett entlang. Die Natur schien uns, mit jedem Schritt mehr herausfordern zu wollen. Steile Felswände, dornige Sträucher und rutschige Steine bildeten einen Teil unseres Weges. Doch nichts konnte uns davon abhalten, den Fluss im Blick zu behalten. Denn er gab uns die Orientierung, die wir brauchten, um nicht vom rechten Weg abzukommen.
Nach fünf Stunden Marsch erreichten wir eine Abzweigung, auf der Pfeile auf dem Boden markiert waren und ein Hinweisschild stand. Sie zeigten nach rechts und führten zum Dorf Papinko. Das Hinweisschild zeigte ebenfalls nach rechts zum Dorf Papinko und geradeaus zum Dorf Vikos. Will man zum Dorf Papinko gelangen, muss man den Fluss überqueren. Ein weiteres schönes Wandererlebnis für einen anderen Tag.
Wir beschlossen, eine lange Pause einzulegen und uns etwas auszuruhen.
Die nächste Etappe führt uns zum Zusammenfluss der Vikos- und der Mega-Lakko-Schlucht, in der ein kühles Rinnsal fließt. Nach der gleichen Zeit erreichen wir das Ende der Schlucht. Unterwegs kam eine Abzweigung nach rechts, der wir folgten. Nach 10 Minuten erreichten wir die Quelle des Flusses und eine kleine Kirche.
Weiter ging es den Aufstieg in Serpentinen hinauf. Der Weg war mühsam und wir merkten langsam, dass unsere Kräfte nachließen. Doch wir gaben alles, mit den Resten an Kraft, die uns noch geblieben waren, um den Aufstieg zu schaffen. Das Ziel kam uns entgegen, wir konnten das Dorf sehen. Endlich, nach genau sieben Stunden und 30 Minuten inklusive Pause, erreichten wir das Ende der Vikos-Schlucht. Was für eine Leistung, die wir vollbracht haben! Und nicht zu vergessen, das Wetter hat auch mitgespielt.
Die Vikos-Schlucht hatte uns vollkommen in ihren Bann gezogen und wir wussten, dass wir eines Tages wiederkommen würden, um erneut ihre Schönheit zu erleben.