© Oliver Knorre

Neulich in den Dolomiten - Route 27

Route 27

15.08.2021

Im Juli 2021 waren Thomas und ich für eine Woche an den Drei Zinnen klettern. Es war eine schöne Woche mit vielfältigen Erlebnissen. Die Route 27 kannte ich bis dato nicht.

Über das Erlebnis „Catwalk“ habt ihr eventuell an dieser Stelle gelesen.

In dieser Kletterwoche haben wir viele Leute kennengelernt. So auch vier Bergfreunde aus den Lienzer Dolomiten. Wanderkarten und Kletterführer lagen abends in der Auronzohütte auf deren Tisch. Dies erweckte Neugierde. Die vier möchten, wie wir, eine Woche in dem Gebiet der Drei Zinnen verbringen. Zwei sind Kletterer und haben die Dülfer auf die Große Zinne als Ziel, die anderen beiden sind Freunde der Klettersteige.

Am nächsten Tag treffen wir die beiden Kletterer beim Zustieg zu unserer Kletterroute auf den Il Mulo.

Wir werden gefragt, ob dies der Weg zu Route 27 sei. Route 27 kennen wir nicht. Wir erfuhren, dass dies eine Route auf die Große Zinne sein soll. Die beiden suchten den Einstieg zur Route 27. Auf die Frage, wie denn die Route heißt und an welcher Bergseite sie sich befindet, kam lediglich die Antwort, Route 27 aus dem Kletterbuch.

Abends kamen wir in der Hütte mit den vier Bergfreunden ins Gespräch. Wir erfuhren, dass die beiden Kletterer nach zwei Stunden - Suche nach dem Einstieg der Route 27 - aufgegeben haben und nicht geklettert sind.

Sie zeigten uns in ihrer Kletterliteratur die Route 27. Es ist der Mosca-Kamin der über die Südwestseite in 550 Klettermeter auf die Große Zinne führt. Beide haben sich die Route 27 ausgesucht, da sie den III. Schwierigkeitsgrat nicht überschreitet. Die Beschreibung des Einstiegs ist rudimentär gehalten, ein Topo gibt es nicht, lediglich ein Bild des oberen Teils der Route. Beide berichten ausgiebig von ihrer Suche nach dem dreieckigen Vorbau an der Südwestwand und der Schwierigkeit die Beschreibung aus der Literatur in der Natur umzusetzen.

Einer der Klettersteiggeher teilt mit, dass er den beiden über die Schwierigkeit der Routenfindung im alpinen Gelände im Vorfeld berichtet hätte, zumal die beiden noch nie eine Mehrseillängenroute geklettert sind. Tatsächlich kennen die beiden nur den Klettergarten in den heimischen österreichischen Bergen. Dort würden sie im sechsten Grat klettern. Sie wären frustriert, dass sie noch nicht einmal den Einstieg gefunden hätte.

Bei einem Bier lässt sich die Motivation der beiden heben. Gerne bekommen sie von uns Tipps über das richtige Klettergebiet, einschlägige Kletterliteratur, die Routenwahl in Kombination mit den eigenen Fähigkeiten und persönlichen Erfahrungen sowie der Schwierigkeitsbewertung in den Dolomiten im Vergleich zu anderen Klettergebieten im Zusammenhang mit dem Zeitmanagement

Aufgrund der diesjährigen Schneesituation möchten beide am nächsten Tag den Normalweg auf die Große Zinne klettern, der Einstieg ist leicht zu finden, die Kletterschwierigkeiten sind moderat. Die Kletteroute ist zwar sehr lang, kann jedoch jederzeit abgebrochen werden.

Bei unserem Zustieg zur Kleinen Zinne - Normalweg - kommen wir am nächsten Tag am Einstieg des Normalweges auf die Große Zinne vorbei. Hier werden wir von den beiden Kletterern freudig begrüßt. Von unserer Tour können wir die beiden im unteren Teil ihrer Route sehen, sie kommen zügig voran.

Abends dann die Ernüchterung. Die zwei Kletterer berichten von ihren Schwierigkeiten bei der Suche nach Sicherungspunkten und der Umsetzung des Topos in der Realität. Sie haben die Route abgebrochen.

Die vier Bergfreunde entscheiden neu und fahren zum Gardasee. Dort hoffen sie, dass die Routenfindung durch die sichtbaren Bohrhaken einfacher sei als im alpinen Gelände. Aber auch wir hatten in diesem Jahr unsere Schwierigkeiten. Bei der überraschenden hohen Schneelage in den Zu- und Abstiegen mussten wir unsere gesamte alpine Erfahrung einbringen, die uns auch zum Umdenken in der Routenwahl veranlasst hat.

 

Oliver Knorre